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Urformen der Sexualität

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 (2023) (2023)

Andreas Deutsch
Urformen der Sexualität
Wie Nathanael Pringsheim den Algen die Unschuld nahm
260 Seiten, 160 überwiegend farbige Fotografien, Originalzeichnungen und Schemata, Pb., 24,80 Euro
ISBN 978-3-86225-142-1
Der Botaniker und Algenforscher Nathaniel Pringsheim (1823–1894) und seine revolutionäre Entdeckung der Sexualität als allgemeines Lebensprinzip.

 

Vorwort des Autors

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„Der Fortschritt der Wissenschaft beruht nicht nur auf Forschung, sondern auch auf Überlieferung.“
— Ernst Georg Pringsheim

 

Im Jahr 2023 jährt sich der Geburtstag des bedeutenden Botanikers Nathanael Pringsheim, eines Zeitgenossen Charles Darwins, zum 200. Mal. Dieses Jubiläum hat mich zum Schreiben des vorliegenden Buches motiviert. Pringsheims beeindruckendes Werk und sein spannendes Leben verdienen es, aus dem Schatten der Vergangenheit ins Licht der Gegenwart gerückt und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht zu werden.

Pringsheim war ein Mitglied jener Gruppe von deutschen Botanikern des 19. Jahrhunderts, die einen Paradigmenwechsel in ihrer Wissenschaft bewirkten. Anstelle sich nur auf die Sammlung und Katalogisierung von Pflanzen zu konzentrieren, richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Entwicklung der Pflanzen. Damit zählte Pringsheim zu den Modernisierern der Botanik. Die von ihm mitgestaltete Bewegung schuf ein neues Verständnis für die Einheit aller Pflanzen und sogar zwischen Pflanzen und Tieren. Die neuen Erkenntnisse waren eng mit der Untersuchung bis dahin vernachlässigter Organismen verknüpft. Bis dato hatten vornehmlich Höhere Pflanzen, insbesondere Blütenpflanzen, im Fokus der Betrachtung gestanden. Mit dem Fortschritt der Mikroskopietechnik wurde es jedoch nun auch möglich, sogenannte Niedere Pflanzen bis hin zur zellulären Ebene zu studieren. Zu diesen zählen Algen und Moose, die sich durch ihre sporenbasierte Fortpflanzung auszeichnen.

Nathanael Pringsheim konnte schließlich in einer unscheinbaren Alge beobachten, wie männliche Geschlechtszellen gezielt auf weibliche Eizellen zuschwammen und sich mit ihnen vereinten. Diese im Jahr 1855 gemachte Entdeckung war eine wissenschaftliche Sensation. Es handelte sich dabei um die erste direkte Beobachtung des Befruchtungsprozesses in einem lebenden Organismus. Bis dahin hatte man Algen als geschlechtslose Organismen betrachtet. Pringsheims Entdeckung zeigte jedoch, dass Sexualität ein universelles Lebensprinzip ist. Dies machte ihn über Nacht berühmt und schon als jungen Mann zum Mitglied der angesehenen Preußischen Akademie der Wissenschaften.

Pringsheim, ein führender Botaniker des 19. Jahrhunderts, war nicht nur ein exzellenter Wissenschaftler, sondern auch ein geschickter und erfolgreicher Stratege. Als Mitglied der weitverzweigten jüdischen Pringsheim-Familie, aus der später viele andere renommierte Naturwissenschaftler hervorgingen, stellte er seinerzeit ein Paradebeispiel für einen deutschen Professor dar. Er war liberal, zugleich aber auch patriotisch, und als herausragender Spezialist genoss er eine große internationale Reputation.

Sein Name ist eng mit Berlin, Jena und Helgoland verbunden. In Berlin brachte er die Botanik zur Blüte, in Jena errichtete er eines der
weltweit ersten pflanzenphysiologischen Institute, und auf Helgoland initiierte er erfolgreich die erste deutsche Meeresforschungsstation.

Dieses Buch möchte Nathanael Pringsheims vielfältigem Leben und Werk gerecht werden. Um sein Schaffen einzuordnen, beginne ich mit einer Darstellung der Umbrüche im wissenschaftlichen Weltbild des 19. Jahrhunderts. Zudem beleuchte ich die wissenschaftlichen Theorien, die Pringsheims Werk prägten. Im nächsten Schritt widme ich mich seinem wissenschaftlichen Werdegang. Auch seine Familie und seine Gründungsaktivitäten kommen zur Sprache. Dann zeige ich die wissenschaftlichen Pionierleistungen von Nathanael Pringsheim auf. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf seiner Forschung zur Sexualität der Algen. Im Anschluss erläutere ich seine Rolle als treibende Kraft bei der Gründung der ersten deutschen meeresbiologischen Forschungsanstalt auf Helgoland. Zum Abschluss präsentiere ich ausgewählte Originalzeichnungen von Nathanael Pringsheim, die seine künstlerische Begabung zeigen.

Bei einem derartigen Vorhaben lässt sich die Verwendung von Fachbegriffen nicht gänzlich vermeiden. Sie werden wie bereits auf den beiden vorangegangenen Seiten in Glossaranmerkungen erklärt und können auch über das Sachregister erschlossen werden.

Rudolf Ladenburg, einer der Väter der Quantenmechanik, war ein Enkel von Nathanael Pringsheim. Mein Onkel, der Chemiker Nils Jaeger, war Rudolf Ladenburgs Neffe. Seit ich mich intensiver mit dem faszinierenden Leben und Werk von Nathanael Pringsheim beschäftige, hat es mich in seinen Bann gezogen. Ich hoffe, dass es mir mit diesem Buch gelingt, die Leserinnen und Leser an einigen Facetten teilhaben zu lassen.

Dieses Buch konnte nur durch die tatkräftige Unterstützung vieler Freunde und Kollegen sowie meiner Familie entstehen. [...]

Dresden, Oktober 2023
Andreas Deutsch

 

Höhere und Niedere Pflanzen   Traditionelle Pflanzenbezeichnungen. Gefäßpflanzen sind als „Höhere Pflanzen“ von „Niederen Pflanzen“ wie Algen oder Moosen zu unterscheiden, die als weniger komplex in ihrer Struktur angesehen werden.

Befruchtung   Verschmelzung von männlichen und weiblichen Geschlechtszellen bei der sexuellen Fortpflanzung.

Alge   Organismus, der Sonnenlicht durch Photosynthese nutzt, um Nahrung zu produzieren. Algen haben einen Zellkern und leben in Wasser oder feuchten Landumgebungen. Trotz ihrer ähnlichen Merkmale stammen sie nicht von einem gemeinsamen Vorfahren ab.

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