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Die »Tönenden Funken«

Übersicht | Inhalt | Vorwort | Einführung

 (1999) (1999)

Michael Friedewald
Die »Tönenden Funken«
Geschichte eines frühen, drahtlosen Kommunikationssystems, 1905-1914
(Aachener Beiträge zur Wissenschafts- und Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts, Band 2)
185 Seiten, zahlr. Abb., Pb., 25,00 Euro
ISBN 978-3-928186-38-4
Untersuchung zur Vorgeschichte des Rundfunks in Deutschland.

 

Einleitung

Kaum eine Technik hat das Gesicht des zwanzigsten Jahrhunderts so sehr geprägt wie die elektrische Nachrichtentechnik und die Massenmedien. Radio und Fernsehen, Telefon und Fax sind heute aus dem täglichen Leben von Milliarden von Menschen nicht mehr wegzudenken. Die wirkliche Durchdringung unseres Lebens mit den elektronischen Medien wird aber besonders deutlich, wenn man sich klarmacht, daß viele Begriffe aus der Nachrichtentechnik längst so sehr zum Allgemeinwortschatz geworden sind, daß deren technische Ursprung vielen Menschen längst nicht mehr bewußt ist. Man denke hier an solche Begriffe wie Ausstrahlung oder Resonanz, an Redewendungen wie »auf gleicher Wellenlänge liegen« oder »sich mit jemandem abstimmen«.

Trotz ihrer offensichtlichen Bedeutung ist die Geschichte der elektrischen Nachrichtentechnik bislang nur sehr lückenhaft aufgearbeitet. Neben einigen überblickswerken gibt es vor allem eine große Zahl von Arbeiten zur Frühgeschichte der elektrischen Telegraphie und Telephonie sowie insbesondere zur Geschichte von Rundfunk und Fernsehen. Die Frühphase der Funktechnik ist bei den meisten dieser Arbeiten nur von peripherem Interesse oder gilt nur als Vorgeschichte der eigentlich interessierenden Entwicklungen. So kommt es, daß der Zeitraumzwischen der Entdeckung der für die Funktechnik grundlegenden physikalischen Phänomene um 1890 und dem Beginn des Rundfunkzeitalters um 1920 von der Geschichtsschreibung bislang weitgehend ignoriert wurde.

Gegenstand dieses Buches ist deswegen die erfolgreiche Einführung des sogenannten »L¨oschfunkensenders« durch die »Gesellschaft für drahtlose Telegraphie, System Telefunken« , im folgenden nur noch Telefunken genannt, in der Zeit zwischen 1905 und 1914. Diese Zeit stellte eine Phase sichüberstürzender Neuentwicklungen dar und war von einer Vielzahl konkurrierender Systeme der drahtlosen Telegraphie geprägt. Während es nach dem experimentellen Nachweis elektromagnetischer Wellen durch Heinrich Hertz 1888 immerhin fast zehn Jahre dauerte, bis Guglielmo Marconi die erste praktische Nutzung des neuen physikalischen Phänomen gelang (1897), konkurrierten innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte nicht weniger als fünf verschiedene Technologien auf dem Markt miteinander: Bis etwa 1908 beherrschten die stark gedämpften Funkensender von Marconi bzw. Ferdinand Braun das Feld. Um 1905 wurden die ersten schwach gedämpften oder ungedämpften Sendertypen entwickelt. Dazu gehörte der Lichtbogensender von Valdemar Poulsen (1905), der besonders in den Vereinigten Staaten viel verwendet wurde. Eine andere Entwicklung war der Löschfunkensender nach dem System der »Tönenden Funken« (1909), der das Untersuchungsobjekt dieser Arbeit darstellt. Wenig später kamen der Maschinensender (1911) und der Röhrensender (1913) hinzu. Diese scheinbare Willkür hinterfragend wird den Ansprüchen nachgegangen, die ein konkurrenzfähiges Nachrichtensystem um die Jahrhundertwende erfüllen mußte. Das betrifft die technisch und wirtschaftlich relevanten Kriterien, die möglichen Marktnischen sowie die internationale Konkurrenzsituation.

Die frühen Verfahren der Funktechnik waren das Ergebnis einer intensiven Suche nach Möglichkeiten zur Erzeugung elektromagnetischer Wellen. Die daraus hervorgegangenen technischen Systeme waren aber nicht die zwangsläufige praktische Umsetzung des theoretischen Wissens. Technische Geräte werden immer von Menschen produziert, die einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Gesellschaft angehören. Diese Menschen haben ihre persönliche Handschrift in der von ihnen geschaffenen Technik hinterlassen und die Technik damit selbst zum Zeugnis der Gesellschaft werden lassen, der ihre Erfinder angehören. Diese Vorstellung impliziert auch, daß es nicht den einen Weg der technischen Entwicklung geben kann, sondern daß unter verschiedenen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen aus dem gleichen theoretischen Wissen verschiedene Technologien entstehen können. Unter diesem Gesichtspunkt sollen im folgenden wichtige Aspekte der Frühgeschichte des Funks untersucht werden.

In einem ersten Kapitel wird zunächst die technische und wirtschaftliche Bedeutung der drahtlosen Telegraphie um 1905, also am Beginn der Entwicklung des Systems »Tönende Funken« untersucht. Dazu werden die um diese Zeit miteinander konkurrierenden Systeme der elektrischen Nachrichtentechnik in ihrer Bedeutung und Leistungsfähigkeit vorgestellt. Davon ausgehend wird untersucht, welche Anforderungen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg an ein leistungsfähiges Nachrichtenverkehrsmedium gestellt wurden und inwieweit die drahtlose Telegraphie diesen Anforderungen gerecht wurde.

Da die drahtlose Telegraphie im zivilen Bereich zunächst nicht mit den etablierten Nachrichtenverkehrsmitteln konkurrieren konnte, lebte die deutsche Funkindustrie zunächst von Militäraufträgen und stellte Geräte für Heer und Marine her. Aus diesem Grund wird näher untersucht, welche besonderen Anforderungen des Heeres und der Marine durch die um 1905 verwendeten Systeme zur drahtlosen Telegraphie nicht erfüllt werden konnten und bei der Entwicklung des Systems »Tönende Funken« besonders berücksichtigt wurden.

Die Entwicklung des Löschfunkensystems zwischen 1906 und 1908 wird deshalb unter dem Aspekt der militärischen Nutzung und der Systembildung im Sinne von Thomas Hughes betrachtet. Die kleinste dabei betrachtete Einheit stellt die Kombination von Löschfunkensender und Hörempfänger dar. Mit Hilfe der physikalischen und elektrotechnischen Literatur kann nachvollzogen werden, in welchen Schritten sich die technische Entwicklung vollzogen hat, welche Alternativen theoretisch und praktisch bestanden. Auch die Eigenschaften des neuen Systems »Tönende Funken« sind dokumentiert, so daß nachvollziehbar wird, wie bei der Entwicklung des Löschfunkensystems dem spezifisch militärischen Anforderungsprofil entsprochen wurde.

Im zweiten Teil wird anhand zweier Beispiele der Frage nachgegangen, aufgrund welcher Bedingungen und besonderen Eigenschaften das System »Tönende Funken« auch in bestimmten nicht-militärischen Anwendungsgebieten zu einem kommerziellen Erfolg werden konnte. Dazu wurden die beiden Bereiche ausgewählt, die in der zeitgenössischen Literatur den breitesten Raum einnehmen und die wirtschaftlich und politisch wichtigsten Einsatzgebiete darstellten. Dies sind die Verwendung der Funkentelegraphie in der Seeschiffahrt und die Bemühungen des Deutschen Reiches mit Hilfe der Funkentelegraphie eine von englischen Seekabeln unabhängige Nachrichtenverbindung zu den deutschen Schutzgebieten einzurichten. Dabei wird offensichtlich, das sich mit der Zeit um den technischen Kern des Löschfunkensystem herum neue Systemkomponenten entwickelten. Es handelt sich dabei häufig nicht mehr um neue technische Neuerungen, sondern um ein wachsendes Netz institutioneller, organisatorischer und gesetzgeberischer Entwicklungen, von denen der Erfolg der drahtlosen Telegraphie zunehmend abhing.

Als Beispiel für den gelungenen Technologietransfer von der militärischen zur zivilen Nutzung darf dabei die Einführung der drahtlosen Telegraphie in der zivilen Schiffahrt gelten, die Gegenstand von Kapitel 4 ist. Hier zeigt sich, daß der technische Kern des Systems »Tönende Funken« ,der ursprünglich auch für den Einsatz bei der Kriegsmarine entwickelt wurde, auch die bislang nur unscharf definierten Anforderungen der zivilen Schiffahrt erfüllen konnte. Von besonderem Interesse ist deshalb, mit welchen Mittel Telefunken die deutschen Reedereien für die drahtlose Telegraphie interessieren konnte. Dies waren insbesondere die Weckung eines Bedürfnisses durch die Schaffung neuer, auch für die zivile Schiffahrt wertvoller Dienstleistungen, dieübernahme des Investitionsrisikos durch die Gründung von Betriebsgesellschaften sowie die Schaffung eines größeren Marktes durch gesetzgeberische Maßnahmen wie die obligatorische Einführung von Funkgeräten auf bestimmten Schiffsklassen.

Weniger erfolgreich war der in Kapitel 5 dargestellte Versuch, ein weltumspannendes deutsches Funknetz auf der Basis des Systems »Tönende Funken  aufzubauen. In diesem Bereich gelang es der jungen deutschen Funkindustrie und insbesondere Telefunken, die politischen Ambitionen des Deutschen Reiches im Welthandel und im Kolonialwesen geschickt mit den eigenen wirtschaftlichen Interessen in Einklang zu bringen. Weil absehbar war, daß der Markt für militärische Funkgeräte rasch erschöpft sein würde, zielten die von der Industrie ausgearbeiteten Pläne auf eine Ergänzung der Seekabelverbindungen ab. Dadurch sollte der politisch-wirtschaftliche Wettbewerb mit Großbritannien zu Gunsten Deutschlands beeinflußt werden. Tatsächlich machte sich das Deutsche Reich die Pläne für ein deutsches Weltfunknetz zu eigen und förderte sie mit Haushaltsmitteln.

Dabei zeigt sich, mit welchen technischen Modifikationen die anfangs für den Weitverkehr wenig taugliche Militärtechnologie des Löschfunkensenders an das neue Anwendungsgebiet angepaßt wurde. Durch großangelegte und auf publizistische Wirkung zielende Weitreichenversuche wurde schließlich nachgewiesen, daß die Funkindustrie auch in der Lage war, ihre ambitionierten Pläne auch zu realisieren. Es stelle sich aber ebenso bald heraus, daß die Löschfunkentechnologie nicht in der Lage war, allen an ein solches Funknetz gestellten hohen Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Regelmäßigkeit der Verbindungen gerecht zu werden. So waren schon zu Beginn desüberseefunkverkehrs im Jahre 1914 die Weichen für die Ablösung des Systems »Tönende Funken« durch die geeignetere Technologie des Maschinensenders gestellt.

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