Verlag für Geschichte
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und der Technik

»Um mich nicht zu vergessen«

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 (1997) (1997)

Marie-Ann Maushart
»Um mich nicht zu vergessen«
Hertha Sponer – ein Frauenleben für die Physik im 20. Jahrhundert
183 Seiten, 8 Abb., Pb., 20,00 Euro
ISBN 978-3-928186-37-7
Das bewegende Lebensbild einer Physikerin im 20. Jahrhundert.

 

Einleitung

Die Idee, eine Biographie über eine Physikerin zu schreiben,
entstand vor dem Hintergrund meiner eigenen Ausbildung. Als
Diplomphysikerin kannte ich die Probleme, die einer Frau in der
Naturwissenschaft zusätzlich zu den rein fachlichen Schwierigkeiten
begegnen können. Schon aus diesem Grund hatte ich mich seit jeher
besonders für das Leben bekannter Physikerinnen wie etwa Lise Meitner und
Marie Curie interessiert. Aber auch die Lebenswege anderer mutiger Frauen
hatten mich schon immer in ihren Bann gezogen. Genannt seien hier vor
allem die Biographien Clara Immerwahrs, Maria Göppert-Mayers, Emmy
Noethers sowie der Marquise de Châtelet, aber auch politischer Frauen wie
Liselotte von der Pfalz, der österreichischen Kaiserin Maria Theresia, der
französischen Königin Marie Antoinette oder Rosa Luxemburg. Unzähligen
weniger bekannten Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen wurden keine
Biographien gewidmet. Ihre Lebensgeschichten finden sich teilweise in
Sammelbiographien.

In einem dieser Übersichtswerke fand ich einen kurzen Artikel über die
Physikerin Hertha Sponer, die bereits in den 20er Jahren an der Universität
Göttingen als Dozentin und später als Professorin tätig war, 1934 nach
Norwegen emigrierte und sich schließlich ab 1936 in den Vereinigten Staaten
von Amerika eine neue Existenz aufbaute. Neben einem Nachruf von
Friedrich Hund war dies zu Beginn meiner Recherche die einzige Arbeit, die
eine Würdigung ihres Lebenswerks versuchte. Daraus ergaben sich aber
bereits die wesentlichen Aspekte ihres Wirkens: Sie war eine der
Pionierinnen in der Physik, noch dazu an einer Universität, an der viele
Nobelpreisträger wie Hertha Sponers späterer Mann James Franck, aber auch
Max Born, Werner Heisenberg oder Wolfgang Pauli arbeiteten. Deren
Geschichten sind bereits hinlänglich bekannt, doch das Leben einer Frau in
dieser »Scientific Community« schien mir durchaus lohnenswert, um der
Geschichte dieser Talentschmiede einen weiteren Gesichtspunkt
hinzuzufügen. Auch unter den Aspekten »Emigration« und »Wiederanfang«
betrachtet, birgt die Lebensgeschichte Hertha Sponers neue und interessante
Erkenntnisse.

Ganz entscheidend für den Entschluß zu dieser Biographie war, daß es
einen Nachlaß von Hertha Sponer gibt, der im American Heritage Center in
Laramie im US-amerikanischen Bundesstaat Wyoming aufbewahrt wird.
Dort waren Sponers Papiere archiviert worden, nachdem Professor Harold
Stephenson, ein ehemaliger Doktorand Hertha Sponers, nach ihrer
Pensionierung an der Duke University ihr Büro aufgeräumt und die Dinge,
die ihm aufbewahrenswert erschienen, bei sich zu Hause in fünf Kisten
deponiert hatte. Der Leiter des American Heritage Centers trat dann Anfang
der 80er Jahre an Stephenson heran, um den Sponer-Nachlaß dort zu
archivieren.

Wichtige Grundlage der Arbeit waren weiterhin viele Briefe Hertha
Sponers. Ihre regelmäßigen Korrespondenzpartner waren James Franck,
dessen Nachlaß in der Joseph Regenstein Library in Chicago zu finden ist,
und Lise Meitner, deren Briefe und Unterlagen im Churchill College in
Cambridge archiviert sind. Als besonders ergiebig erwiesen sich hier die
Briefe Sponers an Franck aus der Zeit von 1933-1936. Sponer schrieb in
regelmäßigen Abständen, teilweise sogar mehrmals pro Woche und
berichtete an James Franck nicht nur wissenschaftliche Fakten, sondern auch
wichtige wie nichtige Ereignisse aus ihrem Leben sowie ihre Gedanken zu
den unterschiedlichsten Themen. Diese Korrespondenz besitzt beinahe den
Rang eines Tagebuchs.

Des weiteren sind Briefe Sponers in den Nachlässen von Raymond Birge,
Niels Bohr, Max Born, Gerhard Herzberg, Karl Herzfeld, Werner
Heisenberg, Helmuth Hertz, Robert Millikan, Ferdinand Springer und Max
von Laue zu finden. Darüber hinaus habe ich als Zeitzeugen Angehörige der
Familie Sponer – Elisabeth Schönbach, Edelgard Schotten, Knut und Hans-
Wolfgang Sponer – sowie Sponers Stieftochter Elisabeth Lisco, geborene
Franck, Freunde und Kollegen wie etwa Friedrich Hund, Heinz Maier-
Leibnitz, Edward Teller, Werner Kroebel, Günther von Förster und Gerhard
Herzberg befragt. Ferner sprach ich mit den ehemaligen amerikanischen
Studenten und Kollegen Sponers, Harold Stephenson und Harold Lewis.

Für die Beschreibung der wissenschaftlichen Arbeiten Sponers dienten im
wesentlichen ihre eigenen Veröffentlichungen (siehe Kapitel 9.1.2) als
Grundlage. Hinzu kommen die Arbeiten ihrer Studenten und Doktoranden,
die ebenfalls als Veröffentlichungen beziehungsweise Dissertationen
vorliegen. Zur Einordnung der Sponerschen Untersuchungen habe ich
zeitgenössische Lehrbücher der Spektroskopie herangezogen.

Die Auswertung dieser recht unterschiedlichen Quellen ergab zusammen
mit der reichlich vorhandenen Sekundärliteratur zu den Themen »Anfänge
des Frauenstudiums«, »Emigration« und »Wissenschaft in der Weimarer
Republik« ein umfassendes Bild Hertha Sponers (siehe Kapitel 9.1). Die so
entstandene Biographie versteht sich zum einen als Ergänzung zu der bisher
vorhandenen Literatur über das Goldene Zeitalter der Physik der 20er Jahre,
das bisher nur von der männlichen Seite betrachtet wurde. Zum anderen reiht
sie sich in die stetig wachsende Zahl der Untersuchungen über Frauen in den
Wissenschaften ein und erweitert auch hier das Gesamtbild. Besonderen
Wert habe ich dabei auf das historisch richtige Arbeiten gelegt, um nicht, wie
im Fall der oben bereits erwähnten Biographie über Clara Immerwahr,
unbeweisbaren Spekulationen Raum zu geben. Die Lebensgeschichte Hertha
Sponers, wie sie hier dargestellt wird, beruht rein auf Fakten.

Als zeitlicher Rahmen sind die Lebensdaten Hertha Sponers ausgewählt.
Sie wurde 1895 in Neisse, damals Ostpreußen, geboren und starb 1968 in
Ilten bei Celle. Die Darstellung ihres Lebens erfolgt in chronologischer
Reihenfolge und behandelt die Lebensabschnitte Kindheit und Studium
(1895 – 1921), die Arbeit als Dozentin und Professorin in Göttingen bis
Anfang 1933, die Emigration über Norwegen an die Duke University in
Durham in North Carolina (1933 – 1936), den Aufbau des dortigen
Physikalischen Instituts vor und während des Zweiten Weltkrieges (1936 -
1946) sowie das Leben der reiferen Hertha Sponer als anerkannte
Wissenschaftlerin an der Seite von Ehemann James Franck (1946 – 1968).
Sämtliche beschriebenen Abschnitte werden in die historischen und
politischen Ereignisse der jeweiligen Zeit eingeordnet. Am Ende der
chronologischen Darstellung steht eine Einordnung des Lebens und Wirkens
von Hertha Sponers.

Um ein möglichst persönliches Bild der Physikerin Hertha Sponer zu
schaffen, habe ich viele Zitate im Originalton verwendet. Dabei behielt ich
zeitgemäße Schreibweisen bei, auch wenn sie nicht den heute herrschenden
Regeln des Duden entsprechen. Die Interpunktion hingegen ist der besseren
Lesbarkeit wegen verbessert. Im Original vorgenommene Unterstreichungen
sind übernommen. Englischsprachige Zitate wurden von mir ins Deutsche
übersetzt. In den jeweiligen Fußnoten ist ein Hinweis auf die Originalsprache
des wörtlichen Zitats zu finden. Meine Bemerkungen innerhalb der Zitate
sind mit »die Verf.« gekennzeichnet.

An dieser Stelle möchte ich auch all jenen danken, die zum Gelingen dieser
Arbeit beigetragen haben. Dazu gehören mein Doktorvater Professor Armin
Hermann, der mich seit Beginn meines Studiums kennt, mich stets gefördert
hat und während der laufenden Forschungen zu diesem Buchprojekt mit
wertvollen Tips und Ratschlägen zu dessen Gedeihen beigetragen hat. Dr.
Beate Ceranski und Dr. Helmuth Albrecht standen mir in ihrer Eigenschaft
als Assistenten am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften und
Technik und darüber hinaus als Freunde jederzeit für
wissenschaftshistorische Diskussionen zur Verfügung. Auch ihnen gilt mein
Dank.

Bedanken möchte ich mich auch bei Elisabeth und Hermann Lisco für den
schönen Nachmittag, den sie trotz Krankheit mit mir verbrachten, um von
den alten Zeiten zu erzählen, sowie den Herren Harold Stephenson und
Harold Lewis, die mich an der Duke University und in Durham
herumführten, um das Leben ihrer Lehrerin Hertha Sponer lebendig werden
zu lassen. Solche Reisen und zahlreiche Archivbesuche wären nicht möglich
gewesen ohne die Hilfe von Brenda und Ken Bloomfield, Harry Böhler,
Katherine Thinnes und Alexandra Muz. Beim Korrekturlesen haben mir
neben anderen freundlicherweise Claudia Güner, Rainer Herrmann und
Stefan Haffner geholfen.

Besonderer Dank gilt den Mitgliedern der Familie Sponer Elisabeth
Schönbach, Dr. Knut Sponer, Dr. Hans-Wolfgang Sponer und Dr. Edelgard
Schotten, die mir einige Fotografien von Hertha Sponer aus ihren
Familienalben und anderes Material zur Verfügung gestellt haben. Außerdem
halfen sie mir, die persönliche Seite ihrer Ahnin besser verdeutlichen zu
können.

Die professionelle Reproduktion der Originalfotos hat dankenswerter
Weise Rüdiger Flöter übernommen.

Ganz zum Schluß möchte ich mich bei den Personen bedanken, die zwar
weniger inhaltlich zum Entstehen dieser Biographie beigetragen haben, dafür
aber meine Zweifel beseitigt und meine Launen ertragen haben. In dieser und
anderer Hinsicht hat sich besonders meine Familie – Bärbl, Dr. Rupprecht
und Florian Maushart – ausgezeichnet. Ohne meinen Lebensgefährten Dr.
Joachim Lang und dessen Unterstützung wäre diese Arbeit nicht so zügig
fertiggeworden.

Ich hoffe, daß die Lebensgeschichte Hertha Sponers auf ein breites Interesse
stößt. Damit möchte ich einen Wunsch der Physik-Pionierin erfüllen, den sie
selbst einmal gegenüber James Franck äußerte. Sie wollte nicht vergessen
werden.

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