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Die Geschichte der Chemischen Fabrik Stoltzenberg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

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 (2008) (2008)

Henning Schweer
Die Geschichte der Chemischen Fabrik Stoltzenberg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
Ein Überblick über die Zeit von 1923 bis 1945 unter Einbeziehung des historischen Umfeldes mit einem Ausblick auf die Entwicklung nach 1945
115 Seiten, 14 Abb., Pb., 15,00 Euro
ISBN 978-3-928186-87-2
(Dieser Titel ist vergriffen!)
Unternehmensgeschichte der traditionsreichen Chemischen Fabrik.

Einleitung

Die Chemische Fabrik Dr. Hugo Stoltzenberg (CFS, 1923-1979) dürfte so manchem Hamburger noch ein Begriff sein. Der Name dieser Firma, die sich nach eigener Darstellung mit der Herstellung von "Ultragiften" und dem Umgang mit ihnen beschäftigt hat, wird in der hamburgischen Stadtgeschichte mit zwei Skandalen verbunden, den so genannten Stoltzenberg-Skandalen von 1928 und 1979. Der erste wurde ausgelöst durch den Austritt einer Giftgaswolke auf dem Firmengelände. Beim zweiten verunglückten drei Kinder beim Spiel mit auf dem Firmengelände entdeckten Chemikalien.

Unter Historikern ist die CFS bekannt geworden durch ihre Beteiligung an illegalen chemischen Rüstungsprojekten der Reichswehr in Russland und Spanien während der Weimarer Republik sowie durch die Verbindung ihres Gründers Hugo Stoltzenberg (1883-1974) zu dem deutschen Chemiker Fritz Haber (1868-1934). Obwohl die Firma durch die historischen Forschungsarbeiten zur chemischen Rüstung in der Weimarer Republik – speziell zum spanischen Kolonialkrieg in Marokko und der chemischen Rüstung in der Sowjetunion – vermehrt in den Blickpunkt des Interesses gerückt ist, fehlt bisher eine historische Auf-arbeitung der Firmengeschichte, die den Zeitraum von 1923 bis 1979 umfasst. Die vor-liegende Arbeit hat zum Ziel, diese Lücke für den Zeitraum von der Gründung der Firma bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges (1922/23-1945) zu schließen und für die Nachkriegs-geschichte der CFS zumindest einen kurzen Überblick zu geben. Mit dieser Aufarbeitung hofft der Verfasser, die bisherigen Erkenntnisse über die Geschichte der chemischen Rüstung, des Gasschutzes und der Schädlingsbekämpfung während des betrachteten Zeitraums zu ergänzen und durch die vorliegende Arbeit eine Basis für weitere Forschungen in diesem Teilgebiet der Chemiegeschichte zu schaffen.

Die Geschichte der CFS ist auch Teil der Geschichte der chemischen Kampfstoffe, der chemischen Rüstung, des Umganges mit chemischen Altlasten und der Rüstungskontrolle. Hierdurch ist die Beschäftigung mit diesem Thema keine realitätsferne Spielerei. Seit den Einsätzen von Tabun und Senfgas im Iran-Irak Krieg im Jahre 1984, den Anschlägen der Aum-Sekte im Jahre 1995 und durch die heutige Angst vor terroristischen Anschlägen, bleibt die Erforschung der chemischen Rüstung unverändert aktuell. Die Geschichte einer Firma, welche in Rüstungsprojekte und Umweltskandale verwickelt war, bietet hier die Gelegenheit, Erkenntnisse aus der Vergangenheit für Handlungsansätze in der Gegenwart zu gewinnen. Der Verfasser hofft, dass diese Darstellung der Firmengeschichte entsprechende detaillierte Forschungsarbeiten anregen wird.

Bei der Aufarbeitung des Themas ergeben sich jedoch auf Grund der Quellenlage spezifische Probleme, welche zu Einschränkungen bei der Arbeit an der Firmengeschichte führen. Die Quellenlage zur CFS ist unvollständig. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Firma nach dem zweiten Stoltzenberg-Skandal 1979 aufgelöst und die entsprechenden Firmenunterlagen beim Abriss der Firma zerstört wurden. Dieser Verlust fast aller Geschäfts-unterlagen scheint es zunächst unmöglich zu machen, eine adäquate Firmengeschichte zu schreiben. Allerdings erlaubt der Rückgriff auf weitere vorhandene Quellenbestände es trotzdem, ein Bild von der Geschichte der Firma zu skizzieren. Die beiden wichtigsten Quellenbestände bilden die Akten des Staatsarchivs Hamburg (SA-HH) und die Unterlagen, die sich noch im Privatbesitz der Familie Stoltzenberg (PA-S) befinden.

Der Quellenbestand zur CFS im SA-HH ist umfangreich. Dies hängt zum einen mit den beiden Stoltzenberg-Skandalen zusammen, die zu umfangreichen Aktenbeständen seitens der Stadt führten und mit der Tatsache, dass es auf Grund wiederholter Beschwerden durch Anwohner, Beschäftigte und Bürgerinitiativen sowie vermehrter Brände auf dem Gelände im Laufe der Firmengeschichte zu einer Vielzahl von Überprüfungen der Firma selbst und des Firmengeländes durch verschiedene Behörden kam. So glücklich dieser Umstand für die historische Bearbeitung ist, so führt er doch zu ganz eigenen Problemen bei der Bearbeitung. Die Bestände konzentrieren sich besonders auf zwei bestimmte Punkte im hier bearbeiteten Zeitraum, nämlich das Jahr des ersten Skandals 1928 und auf die Beteiligung an Militärprojekten der Reichswehr, was zwangsläufig dazu führt, dass hier einen größerer Schwerpunkt in der Arbeit gesetzt werden muss. Zudem spiegeln diese Quellen in ihrer Mehrzahl die amtliche Sicht von Seiten der Stadt Hamburg auf die Ereignisse wider, beinhalten also die Tendenz, die Vorkommnisse im Sinne des Standpunktes der Stadt zu bewerten. Generell führt der erhaltene Quellenbestand dazu, das Augenmerk sehr stark auf die Kooperationen mit den deutschen Militärs sowie auf den ersten Stoltzenberg-Skandal und die damit jeweils zusammenhängenden Ereignisse zu richten. Dies mindert zwar den Erkenntniswert durch diese Quellen nicht, allerdings erhält die Arbeit hierdurch einen anderen Schwerpunkt in der Darstellung als es etwa bei dem Vorhandensein eines Firmenarchivs der Fall sein würde.

Neben den Quellen im SA-HH befinden sich noch Bestände im Privatbesitz der Familie Stoltzenberg, welche von dieser freundlicherweise zugänglich gemacht wurden. Es handelt sich hierbei um einen gemischten Bestand verschiedener Materialien, bspw. einzelne Werbeprospekte und Preislisten der Firma, Patenturkunden, Ausgaben der Firmenzeitschrift, Pässe, Darstellungsvorschriften für Chemikalien, einzelne Arbeitsverträge und einige private Aufzeichnungen von Stoltzenberg und seiner Frau Margarethe Stoltzenberg-Bergius (1892-1950). So wertvolle Informationen diese Bestände über Produkte, Angebote und Entwicklung der Firma liefern, so ergibt sich auch hier das Problem, dass der Bestand unvollständig ist. Er gibt keine kontinuierliche Übersicht über alle Phasen der Firmengeschichte, wenn auch aus allen Jahrzehnten einige Dinge erhalten sind, sondern es bilden sich zeitliche Schwerpunkte dort, wo der Zufall dem Historiker eben vermehrt Quellen überliefert hat. Auch hier gibt also der Quellenbestand der Arbeit eine bestimmte zeitliche Schwerpunksetzung vor und trägt bestimmte inhaltliche Tendenz in sich. Dies gilt besonders für die privaten Aufzeichnungen. Bei diesen Aufzeichnungen soll an dieser Stelle eine Quelle besonders hervorgehoben werden, da sie zum einen für die vorliegende Arbeit sehr nützlich war und das Problem der innewohnenden Tendenzen besonders deutlich macht. Es handelt sich um eine von Stoltzenberg-Bergius für ihren Mann geschrieben private Geschichte der CFS, welche sie mit "Wie wir wurden – Eine kleine Entwicklungsgeschichte unseres Unternehmens" betitelt hat. Diese Aufzeichnungen schildern zunächst die Vorgeschichte der Firma von 1917 bis 1923, dann in einem zweiten Teil die Zeit bis 1926 und schließlich die Zeit nach 1926. Alle Teile wurden zu verschiedenen Zeiten verfasst, der erste 1925, der zweite 1927 und 1930 und der dritte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Existenz dieser Aufzeichnungen ist zwar ein Glückfall für die Erforschung der Firma, handelt es sich hier doch um den Bericht einer direkt in die Arbeiten der Firma involvierten und daher gut informierten Zeitzeugin, doch ist diese Quelle gleichzeitig im hohen Maße subjektiv. Zum Umstand, dass die geschilderten Ereignisse auf jeden Fall durch die persönliche Bewertung von Frau Stoltzenberg-Bergius gefärbt wurden, ist noch zu beachten, dass die Ereignisse mit einem gewissen zeitlichen Abstand niedergeschrieben wurden. Zwischen den Geschehnissen und den Aufzeichnungen liegen teilweise fast 20 Jahre. Ein Umstand, der besonders dazu verpflichtet, bei der Arbeit mit dieser Quelle zu den Schilderungen eine kritische Distanz zu wahren und ihre Aussagekraft für die jeweilige Fragestellung zu prüfen. Dies gilt vor allem dort, wo nur wenige andere oder gar keine weiteren Quellen vorhanden sind.

Eine dritte Grundlage für diese Arbeit ist hier noch darzulegen; sie betrifft gleichzeitig den aktuellen Forschungsstand zur Geschichte der CFS. Wie bereits erwähnt, rückten Stoltzenberg und seine Firma bei der historischen Aufarbeitung der Rüstungsprojekte der Reichswehr in der Weimarer Republik in den Blickpunkt der Forschung. Von besonderer Bedeutung sind hier die Arbeiten von Rolf-Dieter Müller zur chemischen Rüstung in der Weimarer Republik, zu den Rüstungsprojekten zwischen Reichswehr und Roter Armee und zusammen mit Rudibert Kunz die Arbeiten über die deutsche Hilfe bei den Giftgaseinsätzen im Kolonial-krieg in Spanisch-Marokko sowie der historische Überblick über chemische Kampfmittel von Dieter Martinetz. Die Arbeiten decken die Beteiligung der CFS an diesen Projekten auf. Hinzu kommt die Darstellung der Verbindungen zwischen Haber und Stoltzenberg in der Haber-Biographie von Dietrich Stoltzenberg, einem der Söhne von Stoltzenberg, und in der Haber-Biographie von Margit Szöllösi-Janze. Somit finden sich hier Teilgebiete der Firmengeschichte aus den 1920er Jahren bereits bearbeitet, was dem Verfasser dieser Arbeit eine große Hilfe war. Diese Arbeiten ermöglichten zudem dem Verfasser indirekt Zugriff auf Quellenbestände, die im Rahmen dieser Arbeit räumlich und zeitlich nur schwer oder gar nicht zugänglich waren. Hervor gehoben sei hier auch die Quellensammlung zur Geschichte der chemischen Rüstung von Hans Günter Brauch, welche zwei Kapitel mit ausgewählten Quellen zu den Stoltzenberg-Skandalen enthält. Wie bereits erwähnt, fehlen jedoch wissenschaftliche Darstellungen, die sich speziell mit der Geschichte der CFS beschäftigen und diese nicht nur aus dem Blickwinkel eines anderen übergeordneten Themas streifen. Die Erforschung der Firma selbst befindet sich also noch in ihren Anfängen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Quellenbestand zwar eine Bearbeitung der Firmengeschichte zulässt, jedoch zur Schwerpunksetzung zwingt und eine sorgfältige Distanz zu den Quellen verlangt. Schwerpunkte liegen zwangsläufig bei den Projekten mit der Reichswehr, bei dem Phosgenunglück im Jahre 1928 und bei den Gasmaskengeschäften in den 1930er Jahren. Inhaltlich führt die Quellenlage dazu, dass die Darstellung eher einer "Sicht von außen" auf die CFS entspricht. Interne Prozesse in der Firma, das profane Alltagsgeschäft und auch eine exakte Darlegung der wirtschaftlichen Entwicklung für die einzelnen Jahre sind durch die Quellenlage nur im geringen Maße oder auch gar nicht nachvollziehbar. Wann immer aber die CFS durch besondere Ereignisse und Geschäfte in das Licht der Öffentlichkeit trat oder den Kontakt mit staatlichen Stellen suchte, ist die Quellenlage reichhaltiger und die Darstellung dieser Ereignisse weitläufiger.

Der begrenzte Umfang dieser Arbeit zwang zu einer Eingrenzung des Themas. Der Verfasser hat für die vorliegende Darstellung als zeitliche Grenze das Ende des Zweiten Weltkrieges gewählt. Dieser Zeitpunkt wurde nicht nur auf Grund seiner allgemeinen Bedeutung als Zäsur innerhalb der deutschen Geschichtsschreibung gewählt, sondern auch, weil sich diese Ab-grenzung von der Quellenlage her anbietet. Der Zeitraum vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, also die Vorgeschichte der Firma, die Zeit in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus beinhaltet den reichhaltigsten Quellenbestand hinsichtlich der Quantität an Quellen und einer weitgehend kontinuierlichen Streuung über den gewählten Zeitraum. Hinzu kommt, dass in diesen Zeitraum die schon in der Sekundärliteratur verfügbaren Teile der Firmengeschichte fallen und somit auch die bereits geleistete Forschungsarbeit über dieses Thema in die Arbeit einbezogen werden konnte.

Der Aufbau dieser Arbeit orientiert sich grob am chronologischen Ablauf der Firmengeschichte. Dieses Prinzip wird jedoch immer dort durchbrochen, wo aus inhaltlichen Gründen ein Rück- oder Vorgriff auf bestimmte Ereignisse und Entwicklungen sinnvoll erschien. Gewisse Redundanzen lassen sich daher im Text nicht völlig vermeiden. Um dem Leser die historische Einordnung und Bewertung der CFS zu ermöglichen und die Ent-wicklungen innerhalb der Firmengeschichte verständlich zu machen, hat der Verfasser sich bemüht, die historischen Hintergründe zur chemischen Rüstung in den verschiedenen Zeitabschnitten darzulegen. Sie werden i. allg. zu Beginn den jeweiligen Kapiteln voran-gestellt, wenn es dem Verständnis förderlich ist, auch mit den Darstellungen der Firmengeschichte direkt verbunden. Für Literatur zu diesen Gebieten sei auf das entsprechende Verzeichnis am Ende dieser Arbeit verwiesen, Hinweise auf Literatur zu weiterführenden Aspekten einzelner Themen finden sich in den Fußnoten.

Zunächst wird im Folgenden ein kurzer Überblick über Jugend und Ausbildung von Hugo Stoltzenberg gegeben sowie über die Vorgeschichte der Firmengründung. Anschließend folgen die Darstellungen der Kooperationen mit der Reichswehr und die Aktivitäten der Firma in den Jahren 1923 bis 1926. Im anschließenden Kapitel wird die Geschichte der CFS in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre beleuchtet, mit besonderem Augenmerk auf den Gasschutz und den Unglücksfall von 1928. Das fünfte Kapitel rundet die Betrachtungen mit der Darlegung der Zeit von den 1930er Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ab. Die Arbeit schließt mit einem kurzen Überblick über die Zeit nach 1945 und einer Bilanz der angestellten Untersuchungen.

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