Verlag für Geschichte
der Naturwissenschaften
und der Technik

»Zur Belustigung und Belehrung«

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 (2002) (2002)

Helmut Hilz; Georg Schwedt
»Zur Belustigung und Belehrung«
Experimentierbücher aus zwei Jahrhunderten
123 Seiten, zahlr., teilw. farb. Abb., Pb., Vergriffen.
ISBN 978-3-928186-64-3
(Diese Ausgabe ist vergriffen, jedoch als E-Book noch erhältlich.)
Ausstellungskatalog des Deutschen Museums: Experimentierbücher vom 18. Jahrhundert bis heute als Schlüssel zur Popularisierung der Naturwissenschaften.

Experimentierbücher – Schlüssel zur Popularisierung der Naturwissenschaften

Das Popularisieren einer Wissenschaft wurde von dem Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900) als das »berüchtigte Zuschneiden des Rocks der Wissenschaft auf den Leib des gemischten Publikums« (1874) verspottet. Der Baseler Kunsthistoriker Jacob Burckhardt (1818-1897) hatte dagegen wenige Jahre zuvor in einem Kolleg ein anderes Verständnis der Vermittlung von Wissenschaft zum Ausdruck gebracht: »In den Wissenschaften kann man nur noch in einem begrenzten Bereich Meister sein, nämlich als Spezialist ... Soll man aber nicht die Fähigkeit der allgemeinen Übersicht, ja der Würdigung derselben einbüßen, so sei man noch an möglichst vielen anderen Stellen Dilettant.«

Die Kernaussage hat heute – über hundert Jahre nach dem Kolleg Burckhardts – mehr denn je ihre Richtigkeit. Der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft wird inzwischen von allen Wissenschaftsorganisationen unter der Federführung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft gefordert und gefördert.

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Die Experimentierbuchliteratur im 20. Jahrhundert

Mit seinem Chemischen Experimentierbuch für Knaben veröffentlichte der Freiburger Chemielehrer Karl Scheid 1904 das erste ausschließlich der Chemie gewidmete Experimentierbuch. Chemische Experimente waren jedoch schon immer in umfangreicheren, fachübergreifenden Experimentierbüchern enthalten gewesen. Ziel des Werkes war die Vermittlung chemischen Grundlagenwissens, das nach der Jahrhundertwende zunehmend als wichtiger Teil der Allgemeinbildung betrachtet wurde. Der Verfasser schreibt in seinem Vorwort, dass Schüler und Eltern wie auch die chemische Industrie ihn zu diesem Werk ermuntert hätten. Völlig undenkbar sind heute viele der Versuche zu denen das Buch eine Anleitung lieferte. Experimente mit Salzsäure fehlten darin ebenso wenig wie solche mit Schwefelsäure. Mit Scheids Werk aber beginnt das langsame Wiederaufleben der Experimentierbuchliteratur.

Doch sind diese Werke nicht nur ein Spiegelbild der Popularisierung der Naturwissenschaften. Ebenso sind sie bemerkenswerte Vertreter der Buchgeschichte ihrer Zeit. Während wissenschaftliche Werke aber auch viele Sachbücher aus den Naturwissenschaften und der Technik auch im deutschen Kulturraum seit dem späten 19. Jahrhundert überwiegend in Antiquaschriften publiziert wurden, spielte bei Experimentierbüchern die Frakturschrift noch eine große Rolle. Da diese Bücher außerhalb des deutschen Sprachraums nicht abzusetzen waren und darüber hinaus Kinder und Jugendliche an Frakturschriften gewohnt waren, bevorzugten die Verlage bei der Publikation von Experimentierbüchern die Fraktur.

Besonders beliebt waren Experimentierbücher in der Zwischenkriegszeit. Diese wirtschaftlich arme Zeit ließ Jugendliche wie Erwachsene vermutlich mehr als je zuvor Zerstreuung bei einfachen, billig durchzuführenden und gleichzeitig unterhaltsamen Experimenten suchen. Ob Chemie, Elektrotechnik oder Physik, zu jedem Fachgebiet gab es eine größere Anzahl einschlägiger Titel. Eine große Rolle spielte bei Experimentierbüchern zur Technik aber auch der Aspekt des nicht zuletzt auch wirtschaftlich notwendigen Bastelns. Einer der beliebtesten Autoren dieser Zeit war der Schweizer Walter De Haas (geb. 1886), der unter dem Pseudonym Hanns Günther eine große Zahl sehr erfolgreicher Experimentier- wie auch Bastelbücher veröffentlichte. Von seinen Experimentierbüchern erlangten die Titel Kleine Elektrotechnik für Jungen (1919), Chemie für Jungen (1921) und Experimentierbuch für Jungen (1922) den größten Bekanntheitsgrad. Die Titel dieser Werke sind typisch für das gesamte Genre. Naturwissenschaften und Technik sind dem männlichen Geschlecht vorbehalten, Mädchen oder Frauen kommen als potentielle Leserinnen nicht ins Blickfeld. Darin unterscheidet sich die Experimentierbuchliteratur des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz eindeutig von den Werken Vieths und Poppes aus dem frühen 19. Jahrhundert. In Vieths Physikalischem Kinderfreund gibt es in den Dialogen nicht nur einen Buben namens Wilhelm sondern auch ein Mädchen namens Caroline. Davon waren die Autoren des frühen 20. Jahrhunderts weit entfernt.

Der erfolgreichste Experimentierbuchautor auf dem Gebiet der Chemie war in den 1930er Jahren wie auch in der frühen Nachkriegszeit der württembergische Chemielehrer Hermann Römpp (1901-1964). Seine Name ist bis heute mit dem führenden Chemie-Lexikon, dem Römpp, verbunden. Mit seinen Bestsellern Chemie des Alltags (1936), Chemische Experimente die gelingen (1939) und Organische Chemie im Probierglas (1940) erreichte er ein breites Publikum. Mehr als moderne chemische Experimentierbücher hatten Römpps Werke noch den Reiz nicht ganz ungefährlich zu sein. Gefährliche Stoffe, die Römpp in seinen chemischen Versuchen noch verwenden konnte, sind heutzutage dem Laien – überwiegend zu recht – nicht mehr ohne weiteres zugänglich. Ebenso wie Römpps Bücher wurden auch Hans Joachim Flechtners Die Welt in der Retorte – eine moderne Chemie für Jedermann (1938) sowie Walter Greilings Chemie erobert die Welt (1938) in der Nachkriegszeit wieder aufgelegt.

Literarisch mit den Experimentierbüchern verwandt sind die Romane Hans Dominiks und Karl Aloys Schenzingers. Hans Dominik (1872-1945), von Haus aus Elektroingenieur, gehört sicherlich zu den bekanntesten populärwissenschaftlichen Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dominik wandte sich ab 1904 der Literatur zu und verfasste eine größere Zahl technischer Zukunftsromane sowie Jugendbücher. Seine technischen Zukunftsromane, er nannte sie selbst Energie-Romane, spiegeln in gleicher Weise Dominiks Phantasie wie seine Physikkenntnisse wider. Mit den beiden von ihm 1925 publizierten Werken Das Buch der Chemie und Das Buch der Physik wollte er einem breiten Laienpublikum das chemische und physikalische Grundwissen seiner Zeit vermitteln. Neben historischen Ausführungen finden sich in diesen Büchern aber auch einige leicht nachvollziehbare Versuche eingestreut, so dass Dominiks Werke Interessierte auf vielfältige Weise ansprechen konnten. Mit rund 2,5 Millionen verkauften Exemplaren gehört Dominik bis heute in Deutschland zu den erfolgreichsten populärwissenschaftlichen Autoren. Während Dominik noch heute einem größeren Publikum zumindest vom Namen her bekannt ist, dürfte der Name Karl Aloys Schenzinger (1886-1962) nur noch wenigen etwas sagen. Schenzinger hatte aber zu seiner Zeit mit seinen sogenannten Tatsachenromanen, die Titel wie Anilin (1936) oder Metall (1939) tragen, großen Erfolg. Gemeinsam ist Dominik und Schenzinger, die mit ihren vom Fortschrittsmythos getragenen Werken nicht wenig zur Technikbegeisterung breiter Kreise beigetragen haben, ihre kritiklose, teilweise begeisterte Unterstützung des Nationalsozialismus.

Die Naturwissenschaften und mit ihm Experimentierbücher wie auch Experimentierkästen genossen in der Nachkriegszeit bei Kindern wie auch Erwachsenen weiterhin große Beliebtheit. Verlegerisch begann mit dem Zusammenschluss von vierzehn deutschen und schweizerischen Verlagen 1962 (bis 1971) unter dem Kürzel dms – Das moderne Sachbuch – eine neue Phase, die auch zur Entwicklung eines neuen Berufes, des Wissenschaftspublizisten (und ?journalisten) beigetragen hat. Vom Econ-Verleger Erwin Barth wurde das Sachbuch als ein »Werk, das, sachkundig geschrieben, einen oder mehrere Wissensbereiche einem breiten Leserkreis erschließt« definiert.

Mit Beginn der 1970er Jahre wandte sich jedoch die Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen verstärkt anderen Themen zu. Chemische Experimente wie auch das früher so beliebte Basteln kamen darüber oft zu kurz. Ein übriges tat sicherlich zunehmend auch die Furcht vieler Autoren für durch Experimente verursachte Unfälle haftbar gemacht zu werden. Die immer harmloseren Experimente hatten immer weniger Anziehungskraft. Das eigene Experimentieren mit chemischen Stoffen gehört heute längst nicht mehr zu den interessanten Hobbies. Die chemischen Experimentierbücher von Römpp, Flechtner oder Greiling verschwanden mit der Umweltschutzbewegung vom Markt. Die Folge war aber auch ein gegenüber früheren Generationen verringertes Verständnis für die Grundlagen der Chemie. Dafür entwickelte sich ein umfangreiches Sortiment an Taschenbüchern, in denen die negativen Auswirkungen chemischer Stoffe im Alltag dargestellt wurden.

Während chemische aber auch botanische Experimentierbücher an Beliebtheit verloren, gewannen Experimentierbücher zur Physik und Technik an Bedeutung. Vor allem Elektronik und elektronische Experimente hatten es den Lesern angetan. Gustav Büschers Elektronische Experimente sind dafür ein typisches Beispiel. Auffallend häufig sind auf den Titelblättern jetzt auch Mädchen abgebildet, im Zuge der Bildungsreformen verlieren Naturwissenschaften und Technik langsam ihren Ruf als ausschließliche Männerdomäne.

Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstand jedoch eine neue Art von Experimentierbüchern – zum Beispiel mit Titeln wie Joachim Bublaths Verblüffende Experimente aus der Naturwissenschaft (1995) Johann Eibls Experimente zum Forschen, Tüfteln, Ausprobieren (2000), Gerald Boschs 1000 spannende Experimente (2000) sowie Hermann Krekelers Spannende Experimente – Naturwissenschaft spielerisch erleben (2000). Auch die Experimentierbücher unserer Zeit haben zweierlei Ziele, die sich auf angenehme Weise mit einander verbinden lassen: die Experimente sollen unterhaltend und belehrend zugleich sein – und sie sollen möglichst ungefährlich sein, was die meisten der Versuche in den Experimentierbücher bis in die Zeit von Hermann Römpp nicht waren. Es gilt aber auch heute noch die Aussage eines adeligen Alchemisten, des Grafen Wolfgang II. von Hohenlohe um 1600 – sie sollen Lust machen zu eigenen naturwissenschaftlichen – bei ihm chemischen – Experimenten.

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